25
März
2022
|
11:00
Europe/Berlin

15.03.2022: Zwischen Versorgungssicherheit, Diversifizierungsstrategie und Klimaneutralität

Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist der Krieg zurück in Europa. Schon jetzt ist klar, dass der Angriffskrieg auch mittel- und langfristige Folgen für Deutschland und Europa haben wird. Neben der sicherheitspolitischen Zeitenwende steht die energiepolitische Debatte um die Versorgungssicherheit im Fokus von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund diskutierten am 15. März hochkarätige Gäste im Rahmen des dritten Tagesspiegel Debate.Energy Talks, der in Kooperation mit Uniper stattfand, das Thema „Zwischen Versorgungssicherheit, Diversifizierungsstrategie und Klimaneutralität – Was müssen wir aus der aktuellen geopolitischen Lage lernen?“.

LNG könnte einen größeren Teil der Erdgaslieferungen aus Russland kompensieren. Da brauchen wir maximales Tempo.

Stephan Weil

Zu Beginn der Veranstaltung stellte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil in einem Gespräch mit Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff klar, dass sich an den Zielen einer klimaneutralen Wirtschaft und Gesellschaft trotz Pandemie und Krieg nichts ändern werde, die Versorgungssicherheit allerdings kurzfristig eine essenzielle und neue Herausforderung sei. Den größten Stellenwert im Hinblick auf die Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit maß Weil den LNG-Terminals bei, da diese schon ab 2023 in der Lage seien, einen größeren Teil der Erdgasversorgung aus Russland zu kompensieren, wenn der Bund im Hinblick auf Planungs- und Genehmigungsverfahren mitzöge. Ein Energieembargo gegen Russland hielt der niedersächsische Ministerpräsident im Hinblick auf die verheerenden Auswirkungen für Privathaushalte und energieintensive Wirtschaftszweige für nicht vertretbar.

Unsere Energiepolitik muss grundlegend neu tariert werden.

Dr. Jacopo Maria Pepe

In einer anschließenden wissenschaftlichen Einordnung der Lage attestierte Dr. Jacopo Maria Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik, dass die Energiepolitik grundlegend neu tariert werden müsse. Das Energieimportland Deutschland müsse in der aktuellen Krisensituation die Weichen für eine künftige Energieunabhängigkeit von Russland stellen und gleichzeitig marktwirtschaftlich agieren, ohne die Klimaschutzziele aus den Augen zu verlieren. Pepe stimmte des Weiteren dem Ministerpräsidenten hinsichtlich des Ausbaus von LNG-Terminals zur Absicherung der Versorgung zu, denn „Gas bleibt für den Übergang in der Energiewende wichtig“. Jedoch äußerte der Wissenschaftler Bedenken, ob die Substitution durch LNG kurz- bis mittelfristig erfolgen könne, da die Importinfrastruktur noch begrenzt sei. Um die Versorgungssicherheit mit der Klimaneutralität in Einklang zu bringen, müsse die Bundesregierung insbesondere den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft priorisieren und voranbringen. Pepe forderte außerdem, dass die deutsche Energiepolitik in Zukunft stärker europäisch ausgerichtet werden müsse, da der Krieg in der Ukraine die Geburtsstunde einer fragmentierten Weltordnung darstelle, in welcher die geopolitische Dimension der Energietransformation unwiderruflich sichtbar geworden sei.

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Auch bei Kohle und Öl ist Russland unser größter Lieferant. Wir haben uns leichtfertig in Sicherheit gewogen.

Oliver Krischer

In der anschließenden Podiumsdiskussion waren sich alle Diskutant:innen einig, dass die oberste Priorität derzeit in der Versorgungssicherheit liege und „ein sofortiges Embargo gegen Russland nicht verantwortbar ist” da man stark von Kohle, Öl und Gas aus Russland abhängig sei, wie der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Krischer aus dem BMWK attestierte. Ebenso wurde von den Teilnehmer:innen der Podiumsdiskussion betont, dass die vergleichslosen und weitreichenden Sanktionen gegen Russland in der aktuellen Situation zielführender als ein Energieembargo seien. Holger Lösch vom BDI unterstrich, wie schwierig bereits die aktuelle Lage für die Industrie ist, denn „Unternehmen stehen schon vor dem Embargo vor massiven Problemen. Der Strompreis ist explodiert“.
In puncto Versorgungssicherheit sprachen sich in der Diskussion sowohl der Staatssekretär Krischer als auch Uniper-CEO, Prof. Dr. Klaus-Dieter Maubach, gegen Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke aus, da dies technisch nur schwer möglich und wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre. Im Gegenzug sprach sich Maubach für eine Diskussionsoffenheit hinsichtlich der Laufzeitverlängerung von Kohlekraftwerken aus und versicherte, dass die Industrie gemeinsam mit der Bundesregierung daran arbeite, die Versorgungssicherheit auch in Zukunft zu gewährleisten, wofür sein Unternehmen beispielsweise die Planungen für das LNG-Terminal in Wilhelmshaven wieder aufgenommen habe. Dr. Kirsten Westphal von der H2 Global Stiftung mahnte jedoch an, dass die aktuelle Krise kein Anlass sein sollte sich auf fossile Energieträger zurückzubesinnen und forderte anschließend eine “Rekalibrierung der transformatorischen Schritte”, um die Energiewende zu bewerkstelligen.

Unabhängigkeit lässt sich langfristig nur durch schnellere Transformation sicherstellen.

Prof. Dr. Klaus-Dieter Maubach

Maubach stellte anschließend klar, dass die Energiekrise auch zeige, welche Schritte konkret notwendig seien, um die Transformation zu beschleunigen und die Energiepolitik zu diversifizieren. Als Schlüsselenergieträger galt dabei der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, die nach Lösch einen Weg aus den aktuellen Abhängigkeiten darstellen könne. Westphal forderte vor diesem Hintergrund, dass Europa sich in der Krise als Leitmarkt für Wasserstoff etablieren sollte, wofür man auf Fracking-Gas aus den Vereinigten Staaten sowie LNG-Terminals, die H2-ready seien müssten, angewiesen sei.

In diesem Zusammenhang sprachen sich Prof. Dr. Klaus-Dieter Maubach sowie Prof. Dr. Veronika Grimm für mehr Pragmatismus in Hinblick auf den Aufbau und die Förderung der Wasserstoffwirtschaft aus. Zu ehrgeizige Ziele einer von Beginn an klimaneutralen Wasserstoffwirtschaft würden die Marktkräfte blockieren, so Grimm. Stattdessen müsse man konsequent die Infrastruktur ausbauen und übergangsweise auch gelben und blauen Wasserstoff fördern. Der Parlamentarische Staatssekretär Krischer ergänzte, dass zum aktuellen Zeitpunkt vor allem die strengen europäischen Beihilferegelungen den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft verlangsamen würden und deshalb vor allem auf der europäischen Ebene etwas passieren müsse.

Unsere Klimapfade sind durch den Konflikt noch einmal bestätigt worden.

Holger Lösch

Die Diskussionsrunde verdeutlichte, dass der Krieg in der Ukraine eine energiepolitische Zeitenwende ist, in der es gilt, die Klimaneutralität mit der Versorgungssicherheit zu vereinbaren. Auch wenn die Unabhängigkeit von russischem Erdgas nicht kurzfristig erreicht werden kann, werden die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene, die Diversifizierung der Energiequellen, der Ausbau der Erneuerbaren, der Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft und der dazugehörige Pragmatismus in den nächsten Jahren wichtig und zum Treiber der Transformation in Deutschland und Europa.