16
Dezember
2022
|
00:00
Europe/Berlin

„In fünf Jahren vom Erdgas loskommen – das ist möglich“

Zusammenfassung

Wolfram Axthelm ist Geschäftsführer des Bundesverbandes WindEnergie und des Bundesverbandes Erneuerbare Energie. Für ihn gibt es kein Zurück in die fossile Energiewelt. 

Seit gut einem halben Jahr muss Deutschland ohne russisches Erdgas auskommen. Konnten die Erneuerbaren davon schon profitieren? 

Auf Solar hatten wir schon letztes Jahr einen Run, bei den Genehmigungen für Windkraftanlagen dagegen gab es zuletzt sogar einen Rückgang. Prozesse wie der Ausbau der Erneuerbaren laufen eben nicht schlagartig ab. Im Moment hängt zum Beispiel viel davon ab, wie die Lieferkettenprobleme bewältigt werden. Davon sind wir wie alle anderen Branchen betroffen. Gut ist jedenfalls, dass die Regierung mit dem „Osterpaket“ die richtige Richtung eingeschlagen hat. Im Gesetz steht, dass der Ausbau der Erneuerbaren ab sofort von „übergeordnetem öffentlichen Interesse“ ist. Die Länder müssen jetzt darauf hinarbeiten, dass die untergeordneten Behörden den Paragrafen auch anwenden. Positiv ist zudem, dass der Gesetzgeber den Artenschutz standardisiert hat und die Bundesländer jetzt verbindlich zwei Prozent ihrer Fläche für Erneuerbare zur Verfügung stellen müssen. 

 

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Wolfram Axthelm, Geschäftsführer des Bundesverbandes WindEnergie und des Bundesverbandes Erneuerbare Energie

 

Das heißt, die Erneuerbaren können jetzt durchstarten? 

Sehr viel hängt davon ab, wie schnell die Bundesregierung das angekündigte Beschleunigungsgesetz verabschiedet – wir hoffen auf das erste Quartal des kommenden Jahres. Erst damit würden die Planungs- und Genehmigungsverfahren wirklich beschleunigt. Derzeit können die Behörden die Fristen immer wieder verlängern. So ziehen sich die Genehmigungsverfahren mitunter vier oder fünf Jahre hin. Das Beschleunigungsgesetz muss verbindliche Fristen vorschreiben und auf einmalige Verlängerungen begrenzen. 

Wo geht es schneller voran – bei Wind oder Solar? 

Wir sehen, dass sich Solar schneller entwickelt, weil es einen Run aus den privaten Haushalten sowie der Industrie gibt und die Gemeindeebene die Planungshoheit hat. Doch auch die Windkraft könnte kurzfristig stark ausgebaut werden, zum Beispiel wenn alte Anlagen durch neue ersetzt werden – das sogenannte „Repowering“. Die Chancen hier sind enorm: In Deutschland stehen derzeit 29.000 Anlagen. Im Schnitt haben die Bestandsanlagen eine Leistung von 1,8 Megawatt, beim Neubau sind es 5,3 Megawatt.  

 

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Doch was ist, wenn der Wind nicht weht? Heute springen Gaskraftwerke ein, wenn Erneuerbare nicht liefern. Wer schließt in Zukunft die Lücke? 

Wenn es um mögliche Versorgungslücken geht, malen Skeptiker immer das Szenario von der landesweiten Dunkelflaute an die Wand. Als Beispiel wird dann meist auf eine Woche im Februar 2012 verwiesen. Doch selbst damals herrschte nicht überall Windstille. Es ist darum wichtig, auf einen Anlagenmix zu achten. Auch im Norden muss es Solar geben, genau wie Windkraft im Süden. Grundsätzlich bewegen wir uns von einer zentralen Erzeugungsstruktur in Richtung einer dezentralen – und diese braucht auch dezentrale Back-up-Lösungen. In Zukunft benötigen wir aber keine Großkraftwerke, sondern viele kleine Turbinen, die über das Land verteilt sind. Biogas zum Beispiel kann einspringen, wenn andere Energieformen fehlen. 9.000 entsprechende Anlagen gibt es schon. Deren Betrieb müsste nur flexibilisiert werden. Leider führt die geplante Erlösabschöpfung der Bundesregierung hier zur Blockade. Der Bundestag muss in diesem Punkt dringend gegensteuern. Neben Biogas sind auch dezentrale Back-up-Kraftwerke mit Wasserstoff denkbar. Solche Anlagen müssten dann vielleicht nur 100 Stunden im Jahr laufen.  

 

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Aber Ökonomen sagen, dass es sich bei so einer Auslastung nicht rechnet, ein Kraftwerk zu bauen … 

Das gehört zu den Fragen, die man gemeinsam besprechen muss, wenn man über das künftige Marktdesign redet.  

Ihr Verband sagt in einer Studie, dass Deutschland genug Wasserstoff selbst produzieren kann. Andere Studien sehen das anders … 

Das hängt auch immer vom Design der Studie ab. Wir glauben, dass wir ausreichend Wasserstoff im eigenen Land produzieren können. Dies bedeutet nicht, dass wir Autarkie anstreben. Entscheidend wird sein, dass die Produktion dezentral und netzdienlich stattfindet. Die Elektrolyseure sollten an Hotspots der Stromerzeugung stehen und dort die Spitzen für die Wasserstoff-Produktion nutzen. 

 

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Gerade hat Wirtschaftsminister Habeck verkündet, Deutschland werde die nächsten 15 Jahre LNG aus Katar erhalten. Das sei eine „super“ Laufzeit. Wie sehen Sie das? Glauben Sie, dass Deutschland schon früher den Ausstieg aus dem Erdgas schaffen könnte? 

LNG – ob aus Katar oder den USA – ist keine Brücke, die lange genutzt werden sollte. Wir müssen vollständig und schnell aus den fossilen Energieträgern aussteigen. Paradoxerweise wird ausgerechnet beim Thema LNG deutlich: Wenn es den politischen Willen gibt, kann es schnell gehen. Das Tempo bei LNG muss deshalb Maßstab für das Tempo bei Erneuerbaren werden. Aber nochmals: Die Ereignisse des 24. Februar haben uns vor Augen geführt, dass die Brückentechnologie Gas nicht trägt – und die Lücke auch nicht mit teurem LNG zu schließen ist.  

Was ist aus Ihrer Sicht die Alternative? 

Wir müssen jetzt erneuerbare Wege gehen: Die Hersteller von Elektrolyseuren zum Beispiel scharren schon mit den Hufen, und auch in der Industrie gibt es ein großes Interesse, sich mit eigenen Erneuerbaren zu versorgen. Dafür braucht es neue Regeln. Will ein Industriebetrieb heute zum Beispiel ein eigenes Kohlekraftwerk durch Windkraftanlagen ersetzen, muss er sie laut Gesetz in „räumlicher Nähe“ errichten – aber nicht immer gibt es auf dem Betriebsgelände dafür Platz. Alles hängt davon ab, dass solche Hürden abgeräumt werden. Wenn man die Marktakteure jetzt schnell machen lässt, wird viel gleichzeitig passieren.

 

Author

Constantin Gillies

Constantin Gillies ist freier Wirtschaftsjournalist und Buchautor. Seine Themen sind Wirtschaft, Technologie, Internet.

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